Mainz, 20. November 2017
Liebe Infobrief-Abonnenten,
das kann man so machen, wie die FDP es tat, einfach aufstehen und gehen, so muss man sich aber nicht unbedingt verhalten. Das sah nach gut vorbereiteter Spontaneität aus. Nach vier Wochen sehr intensiven, aber auch schwierigen Verhandlungen standen wir kurz vor einer Einigung, sie war zum Greifen nahe.
Alle Parteien haben dabei beträchtliche Wege zurückgelegt, jeder hat
Zugeständnisse gemacht – in den erreichten Verhandlungsergebnissen
hätten sich alle Parteien wiedergefunden. Denn auch beim schwierigen
Thema Migration und Zuwanderung gab es Bewegung und substantielle Fortschritte:
Die Grünen waren zu Kompromissen bereit, auf Basis des von CDU und CSU
erstellten Regelwerks zur Migration. Daneben gab es Einigung über ein
Einwanderungsgesetz mit einem Punktesystem, für dreiviertel aller
Steuerzahler wäre der Solidaritätszuschlag ab 2021 weggefallen, ein
großes Familienpaket mit einem Baukindergeld und Verbesserungen bei der
Mütterrente war verabredet, ein Digital- und Forschungspaket sollte auf
den Weg gebracht werden, die Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent gesenkt
werden und vieles mehr.
Gerade vor diesem Hintergrund ist der Abbruch der Sondierungen durch die FDP eine große Enttäuschung.
Deutschland steht im europäischen Vergleich blendend da. Es geht für
eine künftige Regierung nicht um die Bewahrung vor dem Abgrund, sondern
um wichtige Impulse, um an erfolgreiche Entwicklungen anzuknüpfen. Da
waren wir auf einem guten Weg. Im Übrigen sagte der
FDP-Landesvorsitzende zur Verhandlungsführung von Frau Merkel noch am
vergangenen Samstag im Rheinpfalz-Interview: „Sie verhandelt sehr
sachlich und konstruktiv.“ Das entspricht den Tatsachen. Insofern
wundert seine harte Kritik im heutigen Interview im Deutschlandfunk.
Wir Christdemokraten tun alles, um unser Land zusammen zu halten.
Es kommt keine einfache Zeit auf unser Land zu, denn weiterhin ist
unsere Verlässlichkeit in Europa und in der Welt gefragt. Im Übrigen
kann sich auch die SPD nicht ihrer staatspolitischen Verantwortung
entziehen – Koalitionen sind Konsequenzen aus dem Wahlergebnis, darauf
ist unser politisches System angelegt. Wer eine stabile und tragfähige
Regierung will, kann die Mitarbeit nicht verweigern. Die SPD aber hat
eine Regierungsbeteiligung nun zum zweiten Mal ausgeschlossen und duckt
sich weg, das ist verantwortungslos. Der Bundespräsident hat in diesem Sinne an die Verantwortung der Parteien appelliert.
Wie geht es weiter?
Nachdem die Verhandlungen um Jamaika abgebrochen wurden, gibt es nun folgende Möglichkeiten
Erstens: Jamaika war nicht die einzig mögliche Koalition nach der Wahl – weiterhin möglich ist eine Große Koalition.
Der SPD konnte es allerdings bereits am Wahltag nicht schnell genug
gehen, sich vom Acker der Verantwortung zu machen. Heute hat sie diese
Position bekräftigt.
Zweitens: Theoretisch möglich wäre eine Minderheitsregierung
unter Führung unserer Union – einer Koalition aus CDU/CSU und FDP
fehlen bspw. 29 Sitze zur Mehrheit. Doch eine Minderheitsregierung hat
es in Deutschland noch nicht gegeben, sie ist unerprobt, es fehlen
Erfahrungswerte. Kurzum, Deutschland braucht eine verlässliche und
stabile Regierung, auch mit Blick auf Europa und die Welt Eine
Minderheitsregierung kann diese Stabilität und Verlässlichkeit nicht
gewährleisten.
Drittens: Es gibt Neuwahlen.
Doch der Weg dahin ist nicht einfach und gliedert sich in drei Phasen.
(1) Der Bundespräsidenten schlägt einen Kanzlerkandidaten vor. Findet
dieser Vorschlag keine absolute Mehrheit, beginnt die zweite Phase. (2)
Der Bundestag hat dann zwei Wochen Zeit, sich mit absoluter Mehrheit auf
einen Kanzler zu einigen. Der Anzahl der Wahlgänge und Kandidaten ist
keine Grenze gesetzt. Kommt nach diesen 14 Tagen keine Kanzlermehrheit
zustande, beginnt die dritte Phase. (3) Gewählt ist dann der Kandidat,
der die meisten Stimmen erhält (relative Mehrheit). Ist die relative
Mehrheit auch eine absolute Mehrheit, muss der Bundespräsident die
Person zum Bundeskanzler ernennen. Erfolgt die Wahl aber nur mit
relativer Mehrheit, so kann der Bundespräsident entscheiden: Ernennt er
die Person zur Kanzlerin/zum Kanzler einer Minderheitenregierung oder
löst er den Bundestag auf. Innerhalb von 60 Tagen muss es dann Neuwahlen
geben. Doch Neuwahlen sollten wirklich nur das letzte Mittel sein. Denn
Demokratie heißt nicht, so lange zu wählen, bis es passt.
Herzliche Grüße,
Ihre Julia Klöckner
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