Sonntag, 3. Juli 2016

Änderung der Gemeindeordnung in Rheinland-Pfalz ab 01. Juli

Ab 1. Juli sind fast alle Sitzungen öffentlich
Politik - Welche Auswirkungen hat die Änderung der Gemeindeordnung im Rhein-Hunsrück-Kreis?

Rhein-Hunsrück. Die Kreistage, Stadt-, VG- und Gemeinderäte müssen sich auf Änderungen einstellen: Ab dem 1. Juli sind nämlich die Möglichkeiten eingeschränkt, die Öffentlichkeit von Sitzungen auszuschließen – Ausschusssitzungen inklusive. Das hat der Landtag beschlossen. Hinter verschlossenen Türen beraten können die Räte und auch Ausschüsse demnach nur noch, wenn dies ausdrücklich bestimmt oder die Beratung in nicht-öffentlicher Sitzung aus Gründen des Gemeinwohls oder wegen schutzwürdiger Interessen Einzelner erforderlich ist. Welche Auswirkungen das auf die Ratsarbeit haben wird, wissen viele Entscheidungsträger heute noch nicht genau einzuschätzen.

Grundsätzlich begrüßen es die Politiker aus dem Kreis, dass die neue Gemeindeordnung die Arbeit der Räte für die Bürger transparenter macht: „Das neue Gesetz hat für meine Arbeit keine Relevanz. Grundsätzlich habe ich nichts dagegen, wenn mehr Öffentlichkeit bei Sitzungen entsteht“, sagt Landrat Marlon Bröhr. Der Bürgermeister der Verbandsgemeinde St. Goar - Oberwesel, Thomas Bungert, ergänzt: „Wir verstehen uns als Dienstleister und behandeln schon jetzt so viele Themen wie möglich öffentlich.“ Allerdings machten die Bürger seiner Beobachtung nach nur selten von der Gelegenheit Gebrauch, sich über die anstehenden Projekte zu informieren: „Nur wer ganz unmittelbar von einer Ratsentscheidung betroffen ist, kommt mal zur Sitzung.“ Daran werde auch das neue Landesgesetz nicht viel ändern, befürchtet Bungert.

Die konkrete Ausgestaltung der neuen Gemeindeordnung bereitet dem St. Goarer Stadtbürgermeister Horst Vogt indes noch Bauchschmerzen: „Wenn ich es jedes Mal begründen muss, warum ein Thema nicht-öffentlich behandelt werden soll, mache ich mich angreifbar.“ Außerdem könne er sich vorstellen, dass die Neuregelung Auswirkungen auf die Arbeitsatmosphäre bei den Sitzungen hat. Während bei den öffentlichen Stadtratssitzungen oft die Fetzen flogen, ging es nach dem Empfinden des Stadtbürgermeisters hinter den Kulissen friedlicher zu: „Unsere nicht-öffentlichen Ausschusssitzungen waren bisher immer von Harmonie geprägt.“

In Boppard zeigt das neue Gesetz schon vier Tage nach Inkrafttreten Wirkung: Der Bauausschuss tagt am Dienstag, 16.30 Uhr, erstmals öffentlich. „Ich habe keine Angst vor der Öffentlichkeit“, kommentiert Bürgermeister Walter Bersch das neue Landesgesetz. Er persönlich könne sich auch mit Ton- und Bildaufzeichnungen anfreunden. Aber man müsse auch akzeptieren, wenn Mandatsträger damit nicht einverstanden sind. Bersch sieht aber auch die Schattenseite: „Es wird in öffentlichen Ausschusssitzungen nicht mehr so offen gesprochen wie bisher hinter verschlossenen Türen.“ 

Sein Kollege Christian Keimer in Kastellaun befürchtet daher auch, dass es zu mehr „informellen Zirkeln“ kommen wird, wenn es um die Beratung brisanter Themen geht. Will heißen: Wenn die Ausschusssitzungen öffentlich sein müssen, lässt sich leicht ein Weg finden, diesen eine nicht-öffentliche Vorberatung vorzuschalten. „Ich sehe das ganze kritisch und fand das bestehende System gut, es hatte mehr Freiheit.“

„Wir haben schon immer stark auf die Öffentlichkeit gesetzt“, unterstreicht Kirchbergs VG-Bürgermeister Harald Rosenbaum. „Es gibt aber Dinge, die vorbereitende Beratungen brauchen. Ein Schaulaufen ist da eher kontraproduktiv.“ Film- und Tonaufnahmen steht er kritisch gegenüber: „Wie schnell entwickelt sich in sozialen Netzwerken ein Shitstorm, wenn jemand eine unbedachte Äußerung macht. Wer will sich dann noch engagieren?“
Mehr Öffentlichkeit begrüßt auch Simmerns Stadtchef Andreas Nikolay. Allerdings hält er nicht viel von der Vorabveröffentlichung der Haushaltssatzung. „Dadurch werden bei den Bürgern Erwartungen geweckt, die wir nicht erfüllen können.“

Michael Boos, Bürgermeister der VG Simmern, ist prinzipiell für mehr Öffentlichkeit. „Ich sehe die Angelegenheit relativ gelassen. Große Veränderungen gibt es nicht.“ Aber in Sachen Etatpläne sieht er die Verwaltung besonders gefordert. „Vielleicht erstellen einige Gemeinden künftig einen Doppelhaushalt wie die VG. Sonst wird es wirklich eng für uns – wir müssen 40 Haushalte erstellen.“

ww/tor/mko/mal 

Rhein-Hunsrück-Zeitung vom Freitag, 1. Juli 2016, Seite 17

https://www.youtube.com/watch?v=Bkj3IVIO2Os