Donnerstag, 22. September 2011

Finanzkrise - So kommen wir da raus

Vier Wege aus der Krise im Euro-Land

Kriege und Krisen – schon immer haben sie die Schuldenberge wachsen lassen. Für die westlichen Industrienationen ist die jetzige Schuldenkrise bereits die vierte seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Nicht zum ersten Mal steht die Welt also vor der Frage, wie sie aus dem Schuldenloch kommt. Im Prinzip gibt es vier Antworten.

Schuldenschnitt: Einer jüdischen Tradition zufolge sollen alle 49 Jahre die Schulden gestrichen werden. Ein solches Jubeljahr – modern gesprochen: einen Serienbankrott – fordern Experten wie Daniel Steltner, Partner der Unternehmensberatung Boston Consulting Group, auch für die Weltwirtschaft.
Die Staaten würden einen Teil der Schulden einfach nicht zurückzahlen – das Schuldenproblem wäre gelöst. Aber nur auf den ersten Blick. Denn Staatspleiten und Schuldenschnitte, lange Zeit ein legitimes Mittel des Defizitabbaus, sind höchst gefährlich. Die Schulden sind nur eine Seite der Medaille. Ein Staat, der sich verschuldet, leiht sich Geld, bei seinen Bürgern, bei den heimischen Banken oder bei Bürgern und Banken aus dem Ausland. Jedem Euro an Verbindlichkeiten des Schuldners steht also ein Euro an Forderungen der Gläubiger gegenüber.
Anders gesagt: Die Schulden des Staates sind das Vermögen der Privatleute. Daraus folgt, dass automatisch Vermögen vernichtet wird, wenn die Schulden gestrichen werden und die Staatsanleihen ihren Wert verlieren. Die Hauptlast tragen also zunächst die Sparer und Vermögensbesitzer. Das wäre vielleicht noch nicht einmal schlimm, weil so die Vermögenden an den Kosten der Krise beteiligt werden.
Das globale Finanzsystem dürfte die massenhafte Entwertung von Vermögenstiteln allerdings nicht verkraften. Banken und Versicherungen würden kollabieren, bei den Investoren bräche Panik aus. Ein weltweiter Schuldenschnitt könnte eine Kernschmelze des Finanzsektors nach sich ziehen, die auch die reale Wirtschaft in die Depression stieße. Die träfe dann alle Bürger.
Eine mildere Form des Staatsbankrotts ist die sogenannte finanzielle Repression. Der Staat bedient zwar formell alle seine Schulden – aber er manipuliert die Konditionen. Nach dem Zweiten Weltkrieg beispielsweise führten viele Länder gesetzlich vorgeschriebene Zinsobergrenzen ein. So wurden auch niedrig verzinste Staatsanleihen für Kapitalanleger attraktiv. Der Staat sparte Zinskosten, ohne einen Finanzschock auszulösen.

Inflation: Etwa 100 Milliarden Reichsmark lieh sich der deutsche Kaiser über die Ausgabe von Staatsanleihen bei seinen Untertanen, um den Ersten Weltkrieg führen zu können. Dann warf die Reichsbank die Notenpresse an, und im November 1923 hätte man für den Betrag nicht einmal ein Kilo Brot bekommen. Nach der Währungsreform belief sich der Wert der ausstehenden Anleihen noch auf 8,2 Pfennige – nichts im Vergleich zu den jährlichen Staatseinnahmen von 7,8 Milliarden Mark im Haushaltsjahr 1924/25.
Die Geldentwertung ist seit je ein beliebtes Mittel im Antischuldenkampf. Wenn die Preise steigen, nehmen normalerweise Einkommen und Steuereinnahmen gleich mit zu – auch wenn das viele Geld nichts wert ist. Die Höhe der aufgenommenen Schulden aber bleibt konstant, und das macht sie irgendwann handhabbar.
Schon ein moderater Preisanstieg kann wahre Wunder vollbringen. Laut dem Harvard-Ökonomen Kenneth Rogoff würde eine Inflationsrate von vier bis sechs Prozent ausreichen, die Schulden in den Griff zu bekommen. In Europa toleriert die Zentralbank nur Werte unterhalb von zwei Prozent.
Die Inflation trifft ebenfalls vor allem Sparer und Vermögensbesitzer, deren Forderungen entwertet werden. Auch Rentner und Pensionäre leiden, dagegen werden die Lohneinkommen in der Regel angepasst – selbst zu Zeiten der Hyperinflation seien die lohnabhängigen Arbeiter relativ gut weggekommen, so der Berliner Wirtschaftsprofessor Carl-Ludwig Holtfrerich, der ein Standardwerk über die Zeit verfasst hat. Das Problem: Die Inflation lässt sich nicht exakt steuern. Derzeit pumpen die Zentralbanken zwar jede Menge frisches Geld in die Wirtschaft, trotzdem steigen die Preise kaum, weil niemand das Geld ausgeben will. Und wenn die Teuerung erst einmal anzieht, kann sie schnell außer Kontrolle geraten. Etwas Inflation hilft beim Schuldenabbau und ist für Unternehmen und Verbraucher verkraftbar. Zu viel Inflation kann eine Volkswirtschaft in kürzester Zeit ruinieren.
Hinzu kommt, dass die Staaten ständig auslaufende Staatsanleihen durch neue ersetzen. Wenn die Investoren mit steigenden Preisen rechnen, dann werden sie als Ausgleich für den Verlust an Kaufkraft höhere Zinsen fordern – das neutralisiert einen Teil des Inflationsbonus.

Sparen: Wenn Angela Merkel über Schulden spricht, benützt sie gerne das Bild der schwäbischen Hausfrau. Reicht das Geld nicht, dann wird eben gespart. Im Prinzip hat sich Europa ganz der Merkel-Doktrin verschrieben. Von Griechenland bis Irland werden Ausgaben gekürzt und Steuern angehoben.
Immerhin können sich die Regierungen bei dieser Variante des Schuldenabbaus genau aussuchen, welche gesellschaftlichen Gruppen sie vor allem belasten wollen. Sie könnten beispielsweise diejenigen besteuern, die an den hohen Staatsschulden verdienen, weil sie viele Staatsanleihen halten. Das Problem: Der Staat ist selbst ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Wenn er Investitionen aufschiebt und Leute entlässt, bremst er die Konjunktur. Dann brechen auch die Steuereinnahmen weg, die
Ausgaben für die Arbeitslosigkeit steigen – der Schuldenberg wächst wieder. Manche Ökonomen hoffen darauf, dass auch Gegenkräfte wirken. Wenn die Staatsschulden sinken, könnten die Bürger wieder Vertrauen in die Zukunft fassen und deshalb mehr Geld ausgeben – und so die Effekte des staatlichen Entzugs wettmachen.
Nur deutet wenig darauf hin, dass diese Hoffnung schnell aufgeht. Zumindest kurzfristig, das ergab eine jüngst veröffentlichte umfangreiche empirische Untersuchung des Internationalen Währungsfonds, kostet Sparen Wachstum.

Wachstum:
Als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, standen die Amerikaner vor einem ähnlichen Problem wie die Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg: Die Schulden drückten. Innerhalb von nur zehn Jahren reduzierten die USA ihre Schuldenquote von 108 auf 50 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Das Interessante dabei: Der Schuldenberg selbst wurde gar nicht kleiner – im Gegenteil: Er wuchs von 269 Milliarden auf 274 Milliarden Dollar. Nur wuchs die Wirtschaft eben schneller. Staaten müssen ihre Schulden also nicht unbedingt mühsam abstottern. Es reicht schon, wenn die Wirtschaft kräftig wächst. Denn ob die Schulden tragfähig sind, hängt nicht von ihrer absoluten Höhe ab, sondern von ihrem Verhältnis zur Wirtschaftsleistung. Je größer die Wirtschaft, desto mehr Steuereinnahmen stehen dem Staat zur Verfügung, um die Zinslasten zu tragen. Die Amerikaner mit ihrem jährlichen Bruttoinlandsprodukt von mehr als 14.000 Milliarden Dollar könnten die griechischen Staatsschulden in Höhe von 340 Milliarden Euro aus der Portokasse bedienen.
Wachstum gilt als Königsweg aus der Schuldenkrise, denn niemand – von der Umwelt vielleicht abgesehen – muss verzichten. Das Problem ist nur, dass Wachstum zu erzeugen nicht so leicht ist, wie sich gerade zeigt. Keine zwei Jahre nach der großen Rezession droht der nächste Absturz. Wie die Staaten der Schuldenfalle entkommen können, hängt von den Umständen ab. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Konstellation außerordentlich günstig. Die Wirtschaft wuchs rasant, die Preise stiegen nicht zu schnell und nicht zu langsam, engmaschige Kapitalverkehrskontrollen erlaubten es den Regierungen, sich durch Zinsgrenzen und andere finanzielle Repressalien auf Kosten der Sparer zu sanieren. Der Schuldenstand in den Industrieländern fiel auf weniger als 30 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Die aktuelle Situation dagegen erinnert eher an die dreißiger Jahre: niedriges Wachstum, niedrige Inflation, offene Grenzen für das Kapital. Das verheißt nichts Gutes. Fast kein Industriestaat erfüllte damals am Ende alle seine Zahlungsverpflichtungen.

(Quelle DIE ZEIT, 25.8.2011 Nr. 35)

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